Persönlicher Blog über erlebte Traumata, die Auswirkungen auf Körper und Seele und den Weg der Heilung.
Gibt es noch „gesunde“ Menschen?
Gibt es noch „gesunde“ Menschen?

Gibt es noch „gesunde“ Menschen?

Gibt es noch „gesunde“ Menschen?

 

Das ist eine Frage, die mich grade sehr beschäftigt. Man kennt das ja. Da will man sich einen schwarzen Golf kaufen und dann begegnen sie einem überall. Man denkt über Nachwuchs nach und sieht überall nur Schwangere und Leute mit Kinderwagen. Ich befasse mich mit Bindungs- und Entwicklungstrauma und finde kaum jemanden, der nicht mehr oder weniger davon betroffen ist.

Ist das jetzt allein auf selektive Wahrnehmung zurückzuführen oder tatsächlich ein weit verbreitetes Phänomen? Letzteres würde mich nicht wundern. Es ist auch nicht auf eine bestimmte Personengruppe begrenzt, sondern ich sehe es als generationsübergreifendes Problem.

Vor einiger Zeit habe ich mich intensiver mit der Kriegskinder- und Kriegsenkelthematik auseinandergesetzt und sehe da einen gewissen Knotenpunkt.

Schaue ich auf die Generation meiner Eltern und Großeltern, sehe ich Arrangements mit klarer Rollenverteilung. Ehen wurde nicht geschieden, weil es sich die meisten nicht leisten konnten. Viele Frauen waren abhängig und so gezwungen, in einer dysfunktionalen Beziehung zu bleiben.  Über Probleme wurde nicht gesprochen, Hilfen von außen gab es kaum. Man hatte während der Kriege viele schlimme Dinge erlebt und keine Gelegenheit, diese zu verarbeiten. Und dann gab es noch diesen Erziehungsratgeber aus der NS-Zeit „Die Deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ von Johanna Haarer. Dieses Buch wurde noch bis 1987 (abgemildert) verlegt und hat nachweislich bis heute Auswirkungen auf die Erziehung und die kindliche Entwicklung. Nachdem ich das in Auszügen gelesen habe, wundert mich eigentlich gar nichts mehr.

Meine Eltern wurden, wie wahrscheinlich die meisten Menschen dieser Generation, nach diesen Methoden erzogen. Ich selbst habe in meiner Kindheit und bis heute kaum positive Bindungserfahrungen gemacht, mit gravierenden Auswirkungen auf meine psychische und physische Gesundheit. Und genau das Gleiche beobachte ich bei den meisten Menschen in meinem Umfeld, auch wenn viele sich nicht damit beschäftigen und auseinandersetzen wollen und Wege gefunden haben, sich damit zu arrangieren.

Traurigerweise erkenne ich viele Zusammenhänge erst jetzt und muss mir eingestehen, dass ich mein Trauma bis zur Geburt meiner Tochter nicht erkannt und verarbeitet habe. So habe ich auch Vieles an sie weitergegeben, was wiederum Auswirkungen auf sie hat.

Mein Ziel ist es, mein Trauma zu verarbeiten, in der Hoffnung, dass es mir künftig besser geht. Meine Erkenntnisse gebe ich gerne weiter, in der Hoffnung, dass vor allem nachfolgende Generationen davon profitieren können.

 

Ella

 

https://www.swr.de/swr2/wissen/dann-liebe-mutter-werde-hart-wie-ns-ratgeber-die-erziehung-bis-heute-praegen-swr2-wissen-2022-10-13-100.html