Persönlicher Blog über erlebte Traumata, die Auswirkungen auf Körper und Seele und den Weg der Heilung.
Was genau ist damals eigentlich schiefgelaufen?
Was genau ist damals eigentlich schiefgelaufen?

Was genau ist damals eigentlich schiefgelaufen?

Was genau ist damals eigentlich schiefgelaufen?

 

Eigentlich alles und rückblickend ist meine Bindungsstörung auch kein Wunder. Ich hätte mich unter meinen Bedingungen gar nicht anders entwickeln können.

Ich wurde als Kind zweier Menschen geboren, die beide schwer gestört waren, ohne sich dessen bewusst zu sein. Zum einen waren es die Traumatisierungen, die sie als Kriegskinder ebenfalls generationsübergreifend von ihren Eltern übernommen hatten, zum anderen war und ist die Beziehung meiner Eltern aus meiner Sicht hoch toxisch.

Mein Vater erfüllt alle Kriterien einer narzisstischen Persönlichkeit und meine Mutter übernimmt den Part der Co-Abhängigen. Auch bei ihnen ist es nicht verwunderlich, wie sie sich aufgrund ihrer eigenen Kindheitserfahrungen entwickelt haben. Aus heutiger Sicht kann ich ihnen die Fehler von damals vergeben, weil sie es einfach nicht besser wussten und konnten. Was ich nicht vergeben werde, ist die mangelnde Bereitschaft, Verantwortung für ihr eigenes Handeln zu übernehmen und sich selbstreflektiert mit der Problematik auseinanderzusetzen, nachdem sie sich offenbart hatte.

Aber zurück zu damals:

Das erste Problem war, dass ich mit dem falschen Geschlecht geboren wurde. Einen Jungennamen hatte man parat, einen Namen für mich nicht wirklich. Kurz kam „Anja“ in Betracht, aber so hieß der Dackel der Nachbarn. Man entschied sich spontan für Ella, weil die Tochter der Vermieter auch so hieß.

Jetzt war ich also da, aber meine Eltern hatten keine Zeit und Lust, sich näher mit mir zu befassen, weil sie Arbeiten und Geldverdienen wollten. Geld und Status hatten für meinen Vater schon immer einen sehr hohen Stellenwert. Meine Mutter wäre lieber zuhause geblieben, aber sie hatte in der Beziehung nichts zu melden. So wurde eine Großtante rekrutiert, um sich um mich zu kümmern. Natürlich habe ich an die ersten Jahre meines Lebens keine Erinnerungen und kann mich nur auf die Schilderungen der Verwandtschaft verlassen. Dennoch weiß ich, dass diese Großtante die einzige Person war, zu der ich eine Art Bindung hatte. Meine Eltern gaben mich morgens ab, holten mich nachmittags zurück und wenn ich nachts weinte, wurde ich wieder abgeschoben, weil sie ihren Schlaf brauchten, um am nächsten Tat wieder fit für die Arbeit zu sein.

Als ich drei Jahre alt war, bezogen meine Eltern ein eigenes Haus, in dem auch weitere Teile der Verwandtschaft wohnten, die die Aufgabe hatten, mich zu betreuen. Auch hier gab es keinen festen Bezug, ich lief einfach so nebenher mit, hatte Nahrung, Kleidung und Spielzeug. Kamen meine Eltern nachmittags von der Arbeit, waren sie trotzdem zu beschäftigt, um sich näher mit mir zu befassen. Ich erinnere mich nicht daran, dass man mir vorlas, mit mir spielte oder etwas mit mir unternahm. Nur einmal fuhren wir mit dem Nachbarsjungen in den „Schnee“, aber da brach ich an der Uferkante eines Gewässers eine Eisscholle ab, die mir dann auf den Handrücken fiel und mich verletzte. Den Ausflug hatte ich durch meine Ungeschicktheit versaut und es gab auch keine weiteren.

Ich wüsste nicht, dass meine Wünsche und Bedürfnisse je eine Rolle gespielt hätten, ich hatte mich einfach anzupassen. Mit ca. vier Jahren ging meine Betreuung an meine Großeltern über. Diese hatten ein Textilgeschäft mit mehreren Mitarbeiterinnen. Zwei dieser älteren Damen waren sehr herzlich zu mir und fanden immer eine schöne kindgerechte Beschäftigung für mich, so dass ich mich nicht langweilte und sogar ein bisschen „wichtig“ fühlte. Ich durfte Knöpfe sortieren, Kleidungsstücke nach Größen und Farben aufhängen und eine der Damen brachte mir in ihrer Freizeit das Häkeln bei.

Einmal hatte ich dort als kleines Kind eine schreckliche Verstopfung und erinnere mich, im winzig kleinen Gäste-WC meiner Großeltern heulend auf dem Klo gesessen zu haben. Die Tür blieb geöffnet, damit man mich im Blick hatte und das hatte auch jeder, der ein und aus ging. Als ich schließlich vor Schmerzen weinte und nach meiner Mutter verlangte, kam meine Tante herein und verpasste mir eine Ohrfeige, weil ich weinte. Ein anderes Mal kam eine Frau mit Locken, um mich abzuholen, aber ich kannte sie nicht und ignorierte sie. Dann fing diese Frau an, zu weinen. Es war meine Mutter, nur mit neuer Frisur. So viel zum Thema Bindung. Mit meiner Verdauung gab es scheinbar häufiger Probleme, denn eines morgens gab meine Mutter mir einen Teelöffel „Granulat“, bevor wir uns auf den Weg zum Bus machten, der mich zu meinen Großeltern und meine Mutter zur Arbeit bringen sollte. Auf halbem Weg bekam ich Krämpfe und wir mussten zurück. Ich saß ewig auf dem Klo und hatte Durchfall und war natürlich schuld, dass wir den Bus verpassten und meine Mutter zu spät zur Arbeit kam.

Mit acht Jahren änderte sich nochmal vieles für mich, als mein Vater den Job wechselte, Hausmeister an einer Schule wurde, die ich auch besuchen würde und wir umzogen. Ich war grade ein halbes Jahr in der ersten Schulklasse gewesen und hatte mich gut eingewöhnt und wohl gefühlt. Jetzt kam ich mitten im Schuljahr in einen neuen Klassenverbund und war die „Neue“. Ich war auf mich allein gestellt und hatte meinen Vater lediglich in „Reichweite“, lernte aber schnell, ihn nicht zu belästigen. Seit diesem Umzug habe ich volle Erinnerung an mein Leben. Der Einstand meines Vaters sollte gefeiert werden, indem das ganze Lehrerkollegium zum Kaffeetrinken eingeladen wurde. Ich ging vor dem großen Ereignis noch auf den nahegelegenen Spielplatz, fiel von einem Spielgerät und brach mir den Mittelfußknochen. Für meine Versorgung war aber keine Zeit und ich wurde in mein Zimmer gesetzt und musste dort mit Schmerzen ausharren, bis die Gäste gegangen waren, bevor wir dann ins Krankenhaus fuhren und ich einen Gips bekam.

Mein Vater nutzte seine ruhigen Nachmittage, um mich sehr früh in alle anfallenden Hausarbeiten einzuweihen, die er eigentlich in der Zeit erledigen sollte, in der meine Mutter noch im Büro war. Ich lernte das Putzen und Kochen, während er im weißen Feinripp-Hemd in der Küche saß und Bingo- Karten aus der Bildzeitung ausfüllte oder sich mit Kreuzworträtseln beschäftigte. Und vor allem lernte ich, das Schulgelände von Müll zu befreien, was eigentlich seine Aufgabe gewesen wäre. Er fand bei mir allerdings ständig ein Fehlverhalten, das er damit bestrafte, mir den „Pick-Dienst“ aufzuerlegen.

In dieser Zeit stritten meine Eltern furchtbar viel und immer wurde ich aufgrund meines Verhaltens dafür verantwortlich gemacht. Ich war immer an allem schuld und dafür verantwortlich, dass es mein Vater mal wieder „am Magen“ hatte. Versuchte meine Mutter gelegentlich, Partei für mich zu ergreifen, bekam sie seine Wut so richtig ab. Irgendwann bekam ich die Windpocken und steckte meinen Vater an. Was bei mir ganz harmlos war, brachte meinen Vater angeblich fast um und wieder war ich schuld. Ich konnte nichts richtig machen und hatte auch keine Identität. Ich sah aus wie ein Junge, den er ja auch viel lieber gehabt hätte und versuchte, mich so unauffällig zu verhalten, wie es nur ging. Ich hatte kaum Freunde und Hobbies und zog mich mit einem Buch in mein Zimmer zurück. Aber egal, was ich auch tat, es war immer falsch und zog gelegentlich massive Bestrafungen nach sich, die ich bis heute nicht nachvollziehen kann. Meine Mutter entzog sich der Situation durch ihre Arbeit und flüchtete sich nachmittags in übertriebene häusliche Geschäftigkeit, war aber auch immer verantwortlich, dass ich nicht „funktionierte“.

Mit 18 Jahren zog ich zuhause aus, blieb aber bis zu meinem 43sten Lebensjahr emotional und finanziell von meinen Eltern abhängig.

Ich habe wenig positive Erinnerungen an meine Kindheit. Da waren kein Platz, kein Raum und kein Interesse für meine Wünsche und Bedürfnisse. Es wurde nie danach gefragt und seltenst darauf eingegangen. Es gab keine Nähe und keine Bindung. Dafür gab es ständig Kritik, Abwertung, Geschrei und Strafen, auch körperliche. Das Schlimmste aber war die Bestrafung durch Schweigen und Ignorieren, das „Silent Treatment“.

Das war nur ein kleiner Auszug an Beispielen und es gibt sicher viele Menschen, die an dieser Stelle sagen: „Naja, so schlimm war das alles nicht. Es gibt Kinder, die wurden „richtig“ misshandelt und missbraucht.“ Manchmal habe ich diese Gedanken auch und frage mich, warum es dennoch so viel Schaden bei mir angerichtet hat und ich das nicht einfach abhaken kann. Aber inzwischen weiß ich, dass fehlende Bindungen und emotionaler Missbrauch gravierende Folgen haben kann, die man aufarbeiten muss.

Ich habe von klein auf versucht, einen Weg zu finden, sicher gebunden zu sein, aber es ist mir nie gelungen. Alle Bemühungen, mich anzupassen, meine Bedürfnisse zu unterdrücken, möglichst unauffällig zu sein, sind gescheitert. Es war bisher ein lebenslanger Eiertanz, die Stimmungen und Launen meiner Eltern, Partner, Freunde und sonstiger Mitmenschen zu „erahnen“ und so zu reagieren, dass ich nicht bestraft, ignoriert und abgelehnt werde, um wenigstens ein bisschen die Kontrolle darüber zu haben, was passiert.

„Wie muss ich sein, damit du mich liebst?“ (Dami Charf) war die Frage, die mein ganzes Leben bestimmt hat.

Was diese Erfahrungen mit mir gemacht haben und zu welchen ungesunden Verhaltensweisen und Prägungen sie geführt haben, darum wird es in den nächsten Beiträgen gehen.

 

Ella