Persönlicher Blog über erlebte Traumata, die Auswirkungen auf Körper und Seele und den Weg der Heilung.
Mein Bindungs- und Entwicklungstrauma – Vom Ursprung bis zur Diagnose
Mein Bindungs- und Entwicklungstrauma – Vom Ursprung bis zur Diagnose

Mein Bindungs- und Entwicklungstrauma – Vom Ursprung bis zur Diagnose

Mein Bindungs- und Entwicklungstrauma – Vom Ursprung bis zur Diagnose

 

Vom Ursprung bis zur Diagnose meines Traumas sind ganze 50 Jahre vergangen. Das macht mich so unfassbar traurig. Realistisch betrachtet habe ich wahrscheinlich gut 2/3 meines Lebens damit verbracht, mit meinen Traumafolgen zu leben, bzw, zu überleben.

Da sich diese Art von Trauma in den ersten Lebensjahren entwickelt, gab es natürlich keine Erinnerung als Hinweis, dass da etwas gehörig schiefgelaufen ist. Meine ersten Erinnerungen beziehen sich auf die Zeit um meinen vierten Geburtstag, allerdings nur vereinzelt und sehr bruchstückhaft. Die konkreten Erinnerungen setzten ab meinem achten Lebensjahr ein.

Hätte man mich an meinem 30. Geburtstag gefragt, wie meine Kindheit war, dann hätte ich mit Überzeugung geantwortet, dass alles gut gelaufen ist. Keine besonderen Vorkommnisse. Wenn irgendwas nicht gepasst hat, dann lag es an mir und meinem Fehlverhalten. Ja, das Verhältnis zu meinen Eltern ist „schwierig“, aber das ist doch auch irgendwie normal, oder?

Heute kann ich diese Frage anders beantworten. Ich wurde von meinen Eltern nie wirklich angenommen. Seit meiner Geburt wurde ich emotional vernachlässigt. Meine kindlichen Bedürfnisse wurde nicht befriedigt, ich habe keine positiven Bindungserfahrungen gemacht, kein Urvertrauen erlernt. Mir wurde permanent, bis weit ins Erwachsenenalter, suggeriert, dass ich nicht „richtig“, nicht „genug“, nicht „wertvoll“ und „schuldig“ bin.

Diese Gefühle habe ich tief verinnerlicht und mein ganzes Leben als tiefe Glaubensätze verankert. Erst jetzt gelingt es mir langsam, diese Glaubenssätze aufzulösen.

Vor allem während meiner Kindheit habe ich mich immer anders und nie als wirklich dazugehörig gesehen. Um doch irgendwo dazuzugehören, habe ich versucht, mich extrem anzupassen und besonders lustig zu sein.

Meine ersten Therapieerfahrungen habe ich im Alter von 16 Jahren gemacht, als ich aufgrund erster sexueller Erfahrungen massive Panikattacken bekam. Im Rahmen dieser Therapie kam der Verdacht eines frühen sexuellen Missbrauchs auf, den ich aber für mich bis heute nicht hundertprozentig aufschlüsseln kann. Noch heute habe ich teilweise Probleme mit zu viel körperlicher Nähe.

Mit Anfang 30 suchte ich mir das nächste Mal therapeutische Hilfe. Ich glaube, ich war irgendwie überfordert mit meiner neuen Rolle als Mutter. Beim Ausfüllen eines Anamnesebogens geriet mein Schwerpunkt zum ersten Mal auf das vielleicht doch nicht so gute Verhältnis zu meinen Eltern. Allerdings wurde im Rahmen der anschließenden Sitzungen nie wirklich tiefer darauf eingegangen. Ich brach die Therapie auch nach kurzer Zeit ab, da die Therapeutin nur über sich sprach und ständig mit ihrem Brillenbügel in ihrem Ohr prokelte, um das Hervorgezauberte anschließend abzulecken. Das irritierte mich enorm. Woanders versuchte ich es nicht, denn ich hatte genug mit meinem Leben zu tun.

Therapie Nummer drei begann ich im Jahr 2013. Ich war mit meiner damaligen selbständigen Tätigkeit, finanziellen Engpässen, dem Haushalt und dem Leben an sich überfordert. Ich rödelte 16 Stunden an sieben Tagen in der Woche vor mich hin, um alles unter einen Hut zu bekommen und zeigte deutliche Anzeichen eines Burnouts mit Schlafstörungen und erneut massiven Panikattacken. Mein Therapieziel war, schnellstens wieder fit zu werden und zu funktionieren. Vielleicht war das aber auch eher das Ziel meines damaligen Ehemanns, von dem nicht viel Unterstützung kam. Die Therapeutin war sehr jung, schickte mich allein in den Wald und in einen Aufzug, um meine Ängste zu heilen, was aber so gar nicht funktionierte. Auch diese Therapie brach ich ergebnislos ab und kam zu dem Schluss, dass ich mich einfach nur mehr zusammenreißen und anstrengen muss.

Drei Jahre später gelang ich eher zufällig zu dem Wissen, dass das schwierige Verhältnis zu meinen Eltern und meine „Befindlichkeiten“ wahrscheinlich mit einer (undiagnostizierten) narzisstischen Persönlichkeitsstörung meines Vaters und meiner co-abhängigen Mutter zusammenhingen. Diese Erkenntnis setzte einen Meilenstein. Mein damaliger Therapeut war selbst Sohn einer hochgradig narzisstischen Mutter und konnte mir wahnsinnig viele Fragen beantworten und Zusammenhänge erklären. Ich erkannte, dass ich mein ganzes Leben lang narzisstisch missbraucht und manipuliert worden war und fing an, dieses Phänomen für mich zu studieren. Dies war der erste Schritt in Richtung Heilung und ich dachte, ich käme ab jetzt alleine zurecht.

Das funktionierte relativ gut und ich begann erstmals im Leben ein wenig mehr auf mich zu achten. Einen therapeutischen Feinschliff wollte ich drei Jahre später in Angriff nehmen, nachdem ich inzwischen körperlich so kaputt war, dass ich meine Selbständigkeit nicht mehr ausüben konnte und das erste Mal in meinem Leben arbeitslos, aber kolossal entlastet war. Kurz nach Therapiebeginn, mir ging es psychisch und physisch von Tag zu Tag besser, erwischte mich mit voller Breitseite ein Schocktrauma.

Mein Mann entschied sich plötzlich und unerwartet, mit seiner Chefin durchzubrennen, da ich ja gesundheitlich eingeschränkt war und kein Einkommen mehr beisteuerte. Auch wenn ich es nicht mit einem Terroranschlag oder einem Kriegsgeschehen vergleichen möchte, da mein physisches Leben nicht in Gefahr war, lief das Erlebte für mich aufs Gleiche hinaus. Ich verlor auf einen Schlag meinen Partner, mein Zuhause, und meine finanzielle Sicherheit. Bis heute weiß ich nicht, was er andern erzählt hat, dass Freunde und Familie quasi am Tag der Trennung jeglichen Kontakt zu mir abbrachen. Ich habe alles verloren, was mein Leben ausgemacht hat.

Glücklicherweise hatte ich kurz vorher die Therapie begonnen, die eigentlich nur ein letzter Feinschliff werden sollte. Hier versuche ich jetzt seit drei Jahren alles aufzuarbeiten und erst im Rahmen dieser Therapie wurde die Diagnose des Bindungs- und Entwicklungstraumas gestellt. So langsam erkenne ich, dass sich mein Leben aufgrund einer massiven Bindungsstörung gar nicht anders entwickeln konnte. Es ist gut, dass ich jetzt die Hintergründe verstehen kann. Das bietet mir die Möglichkeit, meine Verhaltensweisen zu erkennen, zu ändern und zu heilen. Das war bisher und wird auch in Zukunft noch ein langer, schwerer Weg.

Ich bin dankbar für diese Erkenntnisse, aber auch furchtbar traurig über die verpassten Möglichkeiten, die ich vielleicht im Leben gehabt hätte, wenn meine Eltern in der Lage gewesen wären, mich zu lieben und anzunehmen. Mir bleibt nur noch das letzte Lebensdrittel, um aus dem Überleben ein echtes Leben zu machen.

 

Ella